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 Artsteckbriefe

Autor  dieses Artsteckbriefes:  Peter Baumann

Rupicapra rupicapra  (Linnaeus, 1758)

 

Gämse

©  Reinhard Bichler

 

Gämse

©  Harald MARK

 

Gämse

©  Luc Muehl

 

 

Verbreitung und Lebensraum

Autor: Peter Baumann

Die Gämse trifft man vor allem im Alpenraum an. Sie lebt aber auch in den Pyrenäen, den Karpaten, am Kaukasus und an Bergzügen im Balkan, in Griechenland oder in Kroatien. Ihre Verbreitung erstreckt sich somit über die meisten Gebirgsregionen Mitteleuropas bis nach Ost- und Südosteuropa.

Archäologische Funde belegen, dass Gämsen natürlicherweise auch im Mittelgebirge beheimatet waren, wo sie heute den Schwarzwald, den Jura oder die Vogesen zurückerobert haben. Subalpine und alpine Rasen im Bereich der Waldgrenze und steile Rückzugsgebiete sind wichtig. Dort kommen die Tiere am besten mit der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung, dem Erholung suchenden Menschen, aber auch mit den natürlichen Feinden zurecht. Viele Gämsen überwintern im Waldgürtel und steigen zum Sommerbeginn wieder hoch. Andere halten sich ganzjährig in der alpinen Zone auf. Aber es gibt auch solche mit ständigem Aufenthalt unterhalb der Waldgrenze – speziell bei den Männchen. Diese verbringen die Paarungszeit oft höher oben als den Sommer. Allgemein die tiefsten Lagen werden im Frühling während Schneefällen aufgesucht. Vielerorts zeigt die Aufenthaltshöhe der Gämsen eine starke Bindung an die Entwicklung der Vegetation im Jahresverlauf, d.h. im Sommer immer höher hinauf, während der größten Hitze über Grate hinweg in schattige Lagen von Nordhängen, und im Spätherbst der erneute Wechsel auf steile Südexpositionen. Im Winter bekommt die Schneedecke dort am schnellsten Lücken.

Beschreibung

Autor: Peter Baumann

Man unterteilt die Alpengämse bisher je nach Verbreitungsgebiet und äußeren Merkmalen in 7 Unterarten. Es bleibt aber fraglich, ob die Unterschiede das Niveau von Unterarten erreichen. Die Pyrenäengämsen in Spanien, Frankreich und Italien gehören einer anderen Art, aber der gleichen Gattung an wie die Alpengämse. Gämsen sind mit der Schneeziege nicht näher verwandt als mit Schafen oder Ziegen. Die einst postulierte Gattungsgruppe zusammen mit der Schneeziege und anderen ist jedenfalls „Schnee von gestern“. Die beiden Gämsen stehen im Moment verwandtschaftlich weiter denn je zwischen anderen Gruppen, wenn nicht plötzlich noch eine überraschende Verwandtschaft z.B. mit einer Antilope auftaucht.

Alpengämsen haben einen hausziegenähnlichen Körperbau. Sie messen ausgewachsen 120 bis 140 Zentimeter. Auch beträgt die Widerristhöhe 70 bis 80 Zentimeter oder das mittlere Herbstgewicht 30 bis 40 Kilogramm. Die Größenunterschiede sind in der Natur auf weite Distanzen meistens zu gering um die beiden Geschlechter zweifelsfrei auseinander halten zu können. Jedenfalls bereitet dies selbst geübten Jägern bisweilen Schwierigkeiten. Ein langes Haarbüschel um die Harnröhre herum kennzeichnet im Winterfell alle Böcke ab 3 bis 4 Jahren. In den übrigen Jahreszeiten bieten lediglich schlecht sichtbare primäre Geschlechtsmerkmale und die Hörner die entscheidenden körperlichen Unterscheidungshilfen. Die gerade aufsteigenden Hörner („Krucken“ oder „Krickel“ genannt) wachsen lebenslang und erreichen bei den Geißen eine durchschnittliche Länge von etwa 19 Zentimetern, bei den Böcken gut 21 Zentimeter. Die Hornenden der Geißen sind nach hinten zurückgebogen („gehakelt“). Bei Böcken zeigt die größer dimensionierte, halbkreisrunde Hakelung stärker nach unten. Hörner von Böcken sind fast immer deutlich dicker als Hörner von Geißen. Auch dieses Merkmal lässt sich zur Unterscheidung nutzen. Seitlich gesehen erreichen Bockhörner etwa Augenbreite, während Geißenhörner fast immer darunter bleiben. Merkmale zur Körpergröße sind keine Fixgrößen: In dünn besiedelten, stark bejagten oder höher liegenden Gämsgebieten werden meistens tendenziell höhere Werte festgestellt.

Altersschätzungen am lebenden Tier ab zwei Jahren sind etwas für Kenner oder solche, die sich dafür halten. Objektive Kriterien bietet bis auf ca. 2 Jahre die Hornlänge. In späterem Alter liefern insbesondere die Kopfform und -Färbungsintensität noch Anhaltspunkte. Rundliche, kurze Kopfformen deuten auf junge Tiere, muskulöse längliche und zeichnungsstarke Kopfformen auf mittelalte. Im Alter magert der Kopf stark ab und verliert an Zeichnungskontrast. In Gebieten, wo eine Populationszunahme unerwünscht ist, beträgt das erreichbare Durchschnittsalter lediglich 6 bis 7 Jahre, weil unter diesen Umständen jährlich bis 20% des Bestandes zu erlegen sind. Dies trifft für Österreich nicht zu, jedoch müssen angesichts harter Winter trotzdem Böcke über 10 Jahre und Geißen über 17 Jahre bereits als sehr alt bezeichnet werden.

Im Sommerfell dominiert die leicht rötlichbraune bis gelbliche „chamois“-Farbe – eine ursprünglich französische Bezeichnung, die nichts anderes als Gämse oder gämsfarbig heißt. Kitze wirken im Sommer eher graubraun (manchmal dunkel graubraun), alte Tiere fahlgrau. Die Bauchpartie und die Schwanzumgebung sowie Teile des Kopfes und Halses bleiben ganzjährig schmutzig weiß. Der Fellwechsel vom Sommerfell zum Winterfell beginnt bald nachdem im Sommerfell die letzten Winterhaare ausgefallen sind. Von den Beinen her erobern die dunklen Winterhaare nach und nach den ganzen Körper. Das Winterfell enthält wesentlich mehr und längere Haare, aber nicht andere Haartypen. Die kürzesten Haare an den Ohren messen ganzjährig in etwa einen halben Zentimeter, an den unteren Beinhälften ca. 2 Zentimeter. Die Mehrzahl der Haare ist selbst im Winter kaum länger als 5 bis 7 Zentimeter. Die größte Haarlänge wird erst kurz vor dem Frühjahrshaarwechsel erreicht.

Lebensweise

Autor: Peter Baumann

Die geselligen Tiere leben in Rudelverbänden, die selten mehr als 30 Individuen umfassen. Besonders im Herbst oder Frühling sind ausnahmsweise Gruppen über 100 Köpfe möglich. Es gibt unterschiedliche Rudeltypen. Oft gruppieren sich innerhalb eines Rudels verschiedene Altersklassen – am auffälligsten (wenn sie noch kaum etwas fressen) die Kleinen mit regelrechten Kinderhorten. In größeren Gämsgebieten finden sich ältere Geißen ohne Nachwuchs in eigenen Rudeln oder gemeinsam mit jüngeren Böcken. In Bockrudeln schließen sich eher jüngere Böcke zusammen. Größere Zusammenschlüsse von mehr als 5, oder gar über 20 Böcken, sind umso seltener, je stärker jagdlich eingegriffen wird.

Zumindest die alten Böcke halten sich (selbst in der Paarungszeit) kaum in Geißenrudeln auf. Sie leben als Einzelgänger oder zusammen mit ein bis zwei weiteren Böcken etwas abseits.
Einzelböcke verteidigen Eigenbezirke gegen andere Böcke. Es fragt sich, ob sie dazu mit ihren Hinterhorndrüsen Duftmarken absetzen. Zumindest beim Zusammentreffen zweier rangstarker Böcke finden viel Zeit beanspruchende Rangausmachungen auch mit Markierszenen statt. Rangdemonstrationen älterer Tiere gehören selbst in den Geißenrudeln zum Alltag. Oft sieht man Szenen mit Überlegenheitshaltung und Unterwerfungsgesten junger Tiere, meist von Jährlingen, die geduckt auf Ranghöhere zugehen und wieder wegspringen. Es bestehen zwei geschlechtergetrennte Rangordnungen, die eine leichte Altersabhängigkeit zeigen. Im Rangverhalten gibt es kaum geschlechterspezifische Verhaltenselemente. Jedoch zeigen Geißen in der Paarungszeit wenig Rangverhalten, so dass man fälschlicherweise manches nur den Böcken zuschreibt. Zumindest die ältesten Böcke scheinen einen hohen Rang wieder zu verlieren, falls sie je einen hatten. Aufgrund der Struktur der Rangordnung ist anzunehmen, dass sich Gämsen persönlich (individuell) kennen.

Bis 1986 galt die Gämse als ausschließliches Tagtier – dann entdeckten Forscher regelmäßige Nachtaktivität, die je nach Jahreszeit 2 bis 5 Stunden dauert. Insgesamt beträgt die tägliche Aktivitätszeit morgens, abends und nachts etwa 14 Stunden. Hinzu kommen weitere 4 Stunden zum Wiederkäuen oder im Winter noch mehr.

Gämsen sind hervorragende Kletterer, ihre lateinische Bezeichnung bedeutet übersetzt „Felsenziege“. Krankheitsbedingt blinde Tiere verlieren ihre Trittsicherheit. Gämsen haben vorzügliche Augen, reagieren indessen in Feindsituationen oft ausgesprochen zögerlich, wie wenn sie Erkennungsprobleme hätten. Wahrscheinlich sehen sie sogar farbig (zwei Farben). Legendär ist der Gämspfiff, den man nicht selten bereits bei der ersten Begegnung zu hören bekommt und meistens als Warnlaut für Artgenossen interpretiert. Eigentliche Warnabsichten scheinen zwar fraglich, aber letztlich profitieren alle davon. Deshalb ist es müßig, sich über Zufälligkeit oder Absicht des zischenden, nasalen Angstlautes zu streiten. Wer zusätzlich auch meckernde Gämsen hören möchte, benötigt Geduld und Erfahrung. Meckern ist in unterschiedlicher Ausprägung der Kontaktlaut zwischen Mutter und Kind, wobei bisher kein individueller Charakter mit persönlicher Erkennungsmöglichkeit nachgewiesen ist. Das Meckern der Böcke heißt „Blädern“. Es sind hauptsächlich die rangstarken Böcke in der Paarungszeit bei den Geißenrudeln, welche blädern.

Die Paarungszeit („Brunft“) konzentriert sich weitgehend auf den Monat November. Den Böcken wird oft ein gefährliches, schonungsloses Kampfverhalten nachgesagt. Dabei wird aber übersehen, dass diese in erster Linie imponieren oder Gegner in Hetzjagden verfolgen – Kämpfe bleiben die große Ausnahme. Brunftaktive Böcke verlieren in dieser Zeit durchschnittlich 8 Kilogramm an Gewicht. Je nach Höhenlage und Populationsdichte (oder jagdlicher Nutzung) „setzen“ die Weibchen ab 2 bis 4 Jahren praktisch alljährlich ein Kitz, das seine Bindung an die Mutter nahezu ein Jahr lang aufrecht hält und während gut 5 Monaten gesäugt wird. Die Tragzeit dauert 170 bis 180 Tage, bei Geißen mit geringen Körperreserven vielleicht ausnahmsweise länger.

Gämsen besitzen die seltene Fähigkeit, ihren Magen entsprechend der Jahreszeit umbauen zu können. Damit nutzen sie im Sommer Eiweißstoffe optimal und im Winter unter Mithilfe spezieller Bakterien Schwerverdauliches. Im Übrigen wandeln sich die Magengröße und der Appetit im Jahresverlauf: Am Winterbeginn ist der Pansen am kleinsten, am Winterende und bei schlechtester Grasqualität am größten. Die Nahrung der Gämsen besteht in der Vegetationszeit aus den selektierten inhaltreichsten Teilen von Gräsern und Kräutern. Im Winter kommen vermehrt Zwergsträucher und Nadelholztriebe dazu. Die ausgedörrten Gräser bestehen jetzt hauptsächlich aus eiweißarmen, zellulosehaltigen Gerüststoffen. Während starken Schneefällen und schlechter Zugänglichkeit der Pflanzendecke stellen Gämsen die Nahrungssuche ein. Bei einer Häufung solcher Situationen bilden Flechten, Wacholdertriebe oder Latschen-Nadeln eine beliebte Notnahrung. Teilweise vermögen Gämsen selbst giftige oder stark riechende Pflanzen zu nutzen, jedoch sollen im Winter Eibennadeln gelegentlich ihren Tod verursachen. Wo erlaubt ködern Jäger Gämsen, indem sie ihnen Salz anbieten. Dafür legen die Vierbeiner vom Frühjahr bis in den Herbst oft weite Strecken zurück. Geißen mit Kitz haben zur Milchproduktion den größten Salzbedarf.

Gefährdung und Schutz

Autor: Peter Baumann

Die IUCN stufte 2008 die Alpengämse mit einem Bestand von mindestens 400.000 Tieren als nicht gefährdet ein. Allerdings ist ungewiss, ob sich am westlichsten Zipfel des Verbreitungsgebietes die Chartreusegämse als eigenständige Unterart zu behaupten vermag.
Die natürlichen Feinde der Gämse sind Steinadler, Luchs und Wolf – ohne nennenswerte Bedeutung in Einzelfällen wohl auch Uhu, Bär und Fuchs. Probleme im Nebeneinander von Gämsjagd und Luchs gehen i.d.R. auf grundlegende Managementfehler zurück.

Wissenswertes und Hinweise

Autor: Peter Baumann

Gämsen fallen mit einer ungewöhnlichen Kopfzeichnung, einer dachsähnlichen „Kopfmaske“, etwas aus dem Rahmen. Diese könnte zusammen mit unterschiedlichen Hornformen individuelles Kennen ermöglichen. Mit Sicherheit erkennen Gämsmütter ihre Kleinen am Schwanzdrüsengeruch individuell.

Die dunklen Haare entlang der Rückgratlinie bis zur Schwanzspitze bezeichnet man im Sommerfell als „Aalstrich“. Sie werden im Herbst nicht gewechselt, wachsen weiter und erreichen zur Paarungszeit im hinteren Teil des Rückens bei Böcken vereinzelt 20 Zentimeter Länge und mehr. Die Rückgrathaare spielen im Rangverhalten auch der Geißen eine große Rolle zum Austesten ihrer Dominanz. Sie können dank der Rückenmuskulatur zum Imponieren aufgerichtet werden und vergrößern so die Körpersilhouette. Der Jäger bindet aus den längsten und schönsten Rückgrathaaren von Böcken den Gamsbart. Geißen haben nur wenig verlängerte Rückgrathaare.
Der Gämshuf ist eine spezielle „Konstruktion“: Die beiden Hufschalen umgreifen die weichen Hufsohlen vollständig. Sie sind vorne hart und hinten gummiartig weich. Ein sehnenartiges Band verbindet die hinteren Teile der Schalen. Dadurch ist die Distanz beider Schalen zueinander veränderbar, was speziell ist. Man nimmt an, dass sich deshalb im Tiefschnee bei gespreizten Schalen die Huffläche vergrößert und die Einsinktiefe vermindert. Ob der Gämshuf nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis schneetauglicher ist als der Steinbockhuf, bliebe noch zu klären – eistauglicher ist er trotz gegenteiliger Behauptungen keinesfalls. Das Band hat im Übrigen den Nachteil, dass Gämsen, im Gegensatz zum Steinbock, die beiden Hufschalen nicht gegenläufig eine nach unten und die andere nach oben bewegen können. Aus weiteren Unterschieden zum Steinbockhuf schließen die meisten Biologen, der Steinbockhuf sei felstauglicher als der Gämshuf. Tatsache bleibt aber, dass Gämsen in Steinbockfelsen alle Passagen gleich gut meistern wie Steinböcke.

Literaturhinweise

Autor: Peter Baumann

HOLZINGER, A. & H. KRANZER (2006):Das Gamswild im Gesäuse. Im Gseis 7, Herbst 2006. Nationalpark Gesäuse GmbH, Weng im Gesäuse
Baumann P. W. (2004): Die Alpen-Gämse. Ott Verlag, Bern, 144p
Schröder W. (1971): Untersuchungen zur Ökologie des Gamswildes in einem Vorkommen der Alpen. Zeitschrift für Jagdwissenschaft 17(3-4), 114-168 und 197-235
Baumann M. (1993): Dominance, resource competition and differential reproductive success within a female home-range group of Alpine chamois. Diplomarbeit, Universität Bern, 102p
Hamr J & Czakert H (1986): Circadian activity rhythms of chamois in Northern Tirol, Austria. Northern Wildsheep and Goat Council Symposium, Missoula, 178-191
Hassanin A., Pasquet E., Vigne J.-D. (1998): Molecular systematics of the subfamily Caprinae as determined from cytochrome b sequences. Journal of Mammalian Evolution 5(3), 217-225
Hofmann R.R. (1983): Evolutionäre und saisonbedingte Anpassung des Verdauungsapparates des Gamswildes. Jagd und Hege Ausbildungsbuch 6, St. Gallen, 85-93
Couturier M.A.J. (1958): Parallèle anatomique, physiologique et écologique entre le pied du bouquetin des Alpes et celui du chamois en rapport avec l'adaptation à la montagne de ces deux espèces. Mammalia 22(1), 76-89
http://www.iucnredlist.org/details/39255

Zu dieser Art

Trivialnamen

deu

Gämse