Die geselligen Tiere leben in Rudelverbänden, die selten mehr als 30 Individuen umfassen. Besonders im Herbst oder Frühling sind ausnahmsweise Gruppen über 100 Köpfe möglich. Es gibt unterschiedliche Rudeltypen. Oft gruppieren sich innerhalb eines Rudels verschiedene Altersklassen am auffälligsten (wenn sie noch kaum etwas fressen) die Kleinen mit regelrechten Kinderhorten. In größeren Gämsgebieten finden sich ältere Geißen ohne Nachwuchs in eigenen Rudeln oder gemeinsam mit jüngeren Böcken. In Bockrudeln schließen sich eher jüngere Böcke zusammen. Größere Zusammenschlüsse von mehr als 5, oder gar über 20 Böcken, sind umso seltener, je stärker jagdlich eingegriffen wird.
Zumindest die alten Böcke halten sich (selbst in der Paarungszeit) kaum in Geißenrudeln auf. Sie leben als Einzelgänger oder zusammen mit ein bis zwei weiteren Böcken etwas abseits. Einzelböcke verteidigen Eigenbezirke gegen andere Böcke. Es fragt sich, ob sie dazu mit ihren Hinterhorndrüsen Duftmarken absetzen. Zumindest beim Zusammentreffen zweier rangstarker Böcke finden viel Zeit beanspruchende Rangausmachungen auch mit Markierszenen statt. Rangdemonstrationen älterer Tiere gehören selbst in den Geißenrudeln zum Alltag. Oft sieht man Szenen mit Überlegenheitshaltung und Unterwerfungsgesten junger Tiere, meist von Jährlingen, die geduckt auf Ranghöhere zugehen und wieder wegspringen. Es bestehen zwei geschlechtergetrennte Rangordnungen, die eine leichte Altersabhängigkeit zeigen. Im Rangverhalten gibt es kaum geschlechterspezifische Verhaltenselemente. Jedoch zeigen Geißen in der Paarungszeit wenig Rangverhalten, so dass man fälschlicherweise manches nur den Böcken zuschreibt. Zumindest die ältesten Böcke scheinen einen hohen Rang wieder zu verlieren, falls sie je einen hatten. Aufgrund der Struktur der Rangordnung ist anzunehmen, dass sich Gämsen persönlich (individuell) kennen.
Bis 1986 galt die Gämse als ausschließliches Tagtier dann entdeckten Forscher regelmäßige Nachtaktivität, die je nach Jahreszeit 2 bis 5 Stunden dauert. Insgesamt beträgt die tägliche Aktivitätszeit morgens, abends und nachts etwa 14 Stunden. Hinzu kommen weitere 4 Stunden zum Wiederkäuen oder im Winter noch mehr.
Gämsen sind hervorragende Kletterer, ihre lateinische Bezeichnung bedeutet übersetzt Felsenziege. Krankheitsbedingt blinde Tiere verlieren ihre Trittsicherheit. Gämsen haben vorzügliche Augen, reagieren indessen in Feindsituationen oft ausgesprochen zögerlich, wie wenn sie Erkennungsprobleme hätten. Wahrscheinlich sehen sie sogar farbig (zwei Farben). Legendär ist der Gämspfiff, den man nicht selten bereits bei der ersten Begegnung zu hören bekommt und meistens als Warnlaut für Artgenossen interpretiert. Eigentliche Warnabsichten scheinen zwar fraglich, aber letztlich profitieren alle davon. Deshalb ist es müßig, sich über Zufälligkeit oder Absicht des zischenden, nasalen Angstlautes zu streiten. Wer zusätzlich auch meckernde Gämsen hören möchte, benötigt Geduld und Erfahrung. Meckern ist in unterschiedlicher Ausprägung der Kontaktlaut zwischen Mutter und Kind, wobei bisher kein individueller Charakter mit persönlicher Erkennungsmöglichkeit nachgewiesen ist. Das Meckern der Böcke heißt Blädern. Es sind hauptsächlich die rangstarken Böcke in der Paarungszeit bei den Geißenrudeln, welche blädern.
Die Paarungszeit (Brunft) konzentriert sich weitgehend auf den Monat November. Den Böcken wird oft ein gefährliches, schonungsloses Kampfverhalten nachgesagt. Dabei wird aber übersehen, dass diese in erster Linie imponieren oder Gegner in Hetzjagden verfolgen Kämpfe bleiben die große Ausnahme. Brunftaktive Böcke verlieren in dieser Zeit durchschnittlich 8 Kilogramm an Gewicht. Je nach Höhenlage und Populationsdichte (oder jagdlicher Nutzung) setzen die Weibchen ab 2 bis 4 Jahren praktisch alljährlich ein Kitz, das seine Bindung an die Mutter nahezu ein Jahr lang aufrecht hält und während gut 5 Monaten gesäugt wird. Die Tragzeit dauert 170 bis 180 Tage, bei Geißen mit geringen Körperreserven vielleicht ausnahmsweise länger.
Gämsen besitzen die seltene Fähigkeit, ihren Magen entsprechend der Jahreszeit umbauen zu können. Damit nutzen sie im Sommer Eiweißstoffe optimal und im Winter unter Mithilfe spezieller Bakterien Schwerverdauliches. Im Übrigen wandeln sich die Magengröße und der Appetit im Jahresverlauf: Am Winterbeginn ist der Pansen am kleinsten, am Winterende und bei schlechtester Grasqualität am größten. Die Nahrung der Gämsen besteht in der Vegetationszeit aus den selektierten inhaltreichsten Teilen von Gräsern und Kräutern. Im Winter kommen vermehrt Zwergsträucher und Nadelholztriebe dazu. Die ausgedörrten Gräser bestehen jetzt hauptsächlich aus eiweißarmen, zellulosehaltigen Gerüststoffen. Während starken Schneefällen und schlechter Zugänglichkeit der Pflanzendecke stellen Gämsen die Nahrungssuche ein. Bei einer Häufung solcher Situationen bilden Flechten, Wacholdertriebe oder Latschen-Nadeln eine beliebte Notnahrung. Teilweise vermögen Gämsen selbst giftige oder stark riechende Pflanzen zu nutzen, jedoch sollen im Winter Eibennadeln gelegentlich ihren Tod verursachen. Wo erlaubt ködern Jäger Gämsen, indem sie ihnen Salz anbieten. Dafür legen die Vierbeiner vom Frühjahr bis in den Herbst oft weite Strecken zurück. Geißen mit Kitz haben zur Milchproduktion den größten Salzbedarf.
|